Mit dem Rad zum Milchhof nach Unna-Mühlhausen

Ja, es sind seltsame Zeiten. Eben noch hatten wir uns über die Lockerungen im Sommer gefreut, da geben kurze Zeit später steigende Corona-Zahlen erneut Anlass zur Sorge. Eine Fahrradtour ins Grüne ist das Beste um den Kopf freizubekommen und lässt für ein paar Stunden lang die Corona Pandemie um uns herum vergessen. Darum heißt es heute für uns wieder, rauf auf den Sattel und die letzten Sonnentage bei einer Fahrradtour genießen. 

Nur ein paar Kilometer von unserer Wohnung beginnen zu beiden Seiten des Weges Wiesen, Weiden, Felder und kleine Waldstücke. Diese grünen Lungen bieten Lebensräume und Nistplätze für viele Vögel und Kleintiere. 

Immer wieder laden Bänke zu einer Pause ein. Entspannen in der warmen Herbstsonne geht hier besonders gut. Ein schöner Rastplatz ist nicht nur Genuss fürs Auge – im Grünen zu sein hält gesund und bietet zusätzlich noch viele schöne Fotomotive.

Die Tour führt durch viele landwirtschaftlich geprägte Abschnitte mit verstreut stehenden Häusern. Nicht selten entdeckt man dabei schönste Stellen gerade dort, wo man vielleicht mit dem Auto achtlos vorbeigefahren wäre.

Für Begeisterung sorgte ein kleiner märchenhafter Vorgarten neben unserem Fahrradweg. Ein Stopp war hier unausweichlich. Bilder weckten Erinnerungen an die Zeiten, in denen wir noch Kinder waren. 


Es war einmal ein Bauwagen, der heute anders war – nämlich ein märchenhaftes Häuschen in einem Zaubergarten, bewacht von Oma und Opa auf einer Bank.

Was guckt denn da noch so aus dem Beet? Es sind charmante Tier- und Fabelfiguren, die den Vorgarten beleben. Der große Vorgarten war eine kleine Welt voll zauberhafter Ideen fantasievoll gestalteter Unikate, in dem man für kurze Zeit träumen konnte. Doch auch einige antike Haushaltsgeräte, dekorativ ins Beet gestellt, schmücken die Hausfront. Dieser antiquarische Haushaltsbedarf ist gleichfalls hübsch anzusehen, doch er zeigt uns auch, wie komfortabel unser heutiger Alltag geworden ist. 

Zurück in der Realität setzten wir unsere Fahrt in Richtung Seseke-Radweg fort. An der Seseke, einem ehemaligen Schmutzwasserkanal, hat sich in den vergangenen Jahren viel verändert. Der LIPPEVERBAND hat den Fuß- und Fahrradweg „Seseke-Weg“ angelegt, da die Seseke inzwischen in eine abwasserfreie und naturnahe Flusslandschaft verwandelt wurde. Dieser Weg bietet eine direkte Verbindung zwischen Bönen über Kamen und Bergkamen bis zur Mündung in die Lippe in Lünen und er lädt dazu ein, die reizvolle Landschaft um und am Fluss zu erkunden. 

Doch das ist nicht die einzige Sehenswürdigkeit entlang der Wegstrecke. Ein grauer, trister Zaun entlang der Seseke wurde im Juli 2014 von rund 20 Kindern und Jugendlichen in eine Gallery umgewandelt. Mit unzähligen Bildern wurde der Weg für die Spaziergänger und Radfahrer bunter und attraktiver gestaltet und ist auch im Jahr 2020 immer noch ein schöner Anblick. 

Nun geht es ein Stück an der Seseke entlang, bis wir wieder entlang von Wiesen und Feldern in Richtung Unna-Mühlhausen abbiegen. 

Der Ort mit etwa 1400 Einwohnern ist eines der alten Hellwegdörfer am Nordabhang des Haarstrangs und seit 1968 ein Ortsteil der Kreisstadt Unna. Das Radwegenetz ist gut ausgebaut und die Beschilderung ist vorbildlich und so kommen wir nach gut 25 km Fahrstrecke auf dem stadtnahe, aber trotzdem idyllisch gelegenen Milchhof an. 

Wir stehen vor einem im 18. Jahrhundert erbauten und seit über 500 Jahren im Besitz der Familie Lategahn befindlichen Bauernhof. Es ist ein familiengeführter Milchviehbetrieb mit eigener Molkerei, einem Hofladen und einem Bauerncafé. 

 

Aufgrund des schönen Wetters suchen wir uns einen freien Tisch im großen Garten, denn der zieht uns hungrige und durstige Besucher mit seiner Gestaltung an.

Nun haben wir die Qual der Wahl: einen täglich wechselnden leckeren Mittagstisch, Milchprodukte aus eigener Herstellung oder leckeren Kaffee und selbstgebackenen Kuchen.

 

Wir haben uns, aufgrund der nahenden Kaffeezeit, für die ein leckeres Stück Kuchen und einen großen Pott Kaffe entschieden und genießen dieses in gemütlicher Atmosphäre des Sommercafés. 


Bevor wir uns wieder aufs Rad schwingen, machen wir noch einen Spaziergang über den Hof. Da alle Stallungen offen stehen, werfen wir einen Blick hinein und zufriedene Kühe schauen uns mit großen Augen an.

Über einen der Stallungen hängt nicht nur schöner Blumenschmuck an einer Deichsel,

sondern es steht auch ein Spruch über der Tür:

„Mutig durch das Leben geh´n, den Blick voraus und nicht zurück,

fröhlich in die Zukunft seh´n, so erstrebt man Lebensglück“.

Der Spruch ist zwar schon von 1911, doch auch heute/oder gerade heute bringt er den Leser

in der Corona-Krise auf positive Gedanken. 

 

 

Für uns beginnt nun der Heimweg, der uns auch wieder so einige neue und interessante Informationen bietet.

So stoppen wir bereits kurze Zeit später vor dem „Folkbrachtstein“, der 2001 vom Heimatverein aufgestellt wurde.

Dieser Stein erinnert an die erste urkundliche Erwähnung des Stadtteils um das Jahr 890. Gleichzeitig soll damit des ersten namentlich bekannten Einwohners von Mühlhausen gedacht werden.


Auf verkehrsarmen Nebenstraßen und asphaltierten Wegen schlängelt sich der Weg entlang abgeernteter Getreidefelder und Wiesen und bietet einen schönen Blick in die Natur. 

Lünern, zwischen Mühlhausen und Hemmerde am Hellweg gelegen ist unser nächstes Ziel. Hier steht die denkmalgeschützte evangelische Pfarrkirche. Erstmals urkundlich erwähnt wurde die Kirche im Jahr 1291, doch es gilt als sicher, dass sie schon um das Jahr 1100 auf den Grundmauern einer Kapelle aus der Zeit „Karl des Großen“ erbaut wurde. Sie zählt zu den ersten Steinkirchen, die am Hellweg im romanischen Baustil errichtet worden ist. Hier in der alten Dorfkirche wurden die Menschen getauft, konfirmiert, getraut und beerdigt. 

 

Wir stellen unsere Fahrräder ab und werfen einen Blick in das Innere der Kirche. Sie kann am Tage bis zur Absperrung betreten werden.

 

Sehenswert ist ein flandrischer Schnitzaltar von 1515 mit Darstellungen aus dem Leben Christi und der Passion.

Mit seiner Höhe von etwa vier Metern und einer Breite von drei Metern beherrscht er den Chorraum.

 

Die Schnitzaltäre aus Flandern im frühen 16. Jahrhundert sind eine Besonderheit in der europäischen Kunstgeschichte. Sie erzählten dem einfachen, des Lesens und Schreibens nicht mächtigen Volk die zentralen biblischen Inhalte.

 


Nach dieser Besichtigung sehen wir uns in der kleinen Gemeinde mit rd. 2.000 Einwohnern etwas um. Im Jahre 2000 feierte die gesamte Dorfbevölkerung „850 Jahre Lünern“. Als Erinnerung dieses Höhepunktes steht seit 2008 in der Dorfmitte ein Gedenkstein.

Ferner erinnert eine historische Kohlelore mit aufgemaltem Förderturm an vergangene Zeiten, denn Zechen prägten das Ruhrgebiet wie kaum etwas anderes. 

 

Beim Blick über eine sonnige Wiese viel mir eine etwa lebensgroße Holzskulptur von Christian Brachmann aus Unna auf.

Sie stellt eine männliche und weibliche Person in Umarmung dar und ist betitelt

„Der Pole und die Deutsche“.

 

Auf dem Info-Schild heißt es dazu:

„In Erinnerung an Zwangsarbeit und Unmenschlichkeit während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft von 1933 – 1945“.

 

Im Internet habe die dazugehörige Geschichte über einen jungen polnischen Zwangsarbeiter gefunden, der Mitte 1943 bei einem Landwirt gearbeitet hat und sich in ein deutsches Mädchen auf dem Hof verliebte und dafür mit dem Tod bestraft wurde. Diese Skulptur ist Zeugnis des unmenschlichen Kontaktverbots. 


Wir steigen nach unserem Rundgang wieder aufs Fahrrad um Wiesen, Felder und kleine Waldstücke zu durchqueren und interessante Punkte unweit unserer Heimat zu entdecken.

In Westhemmerde stehen wir vor eines der bekanntesten Baudenkmäler Unnas. Zum Ende des 14. Jahrhunderts wurde mit dem Bau des Wasserschlosses begonnen und bis zum 19. Jahrhundert wurde am „Haus Westhemmerde“ immer wieder Erweiterungen vorgenommen. In den letzten 30 Jahren wurde der ehemalige Adelssitz denkmalgerecht im Innenraum und an der äußeren Fassade restauriert. Seit 1955 ist die Familie Schulte Eigentümer des Hauses und der landwirtschaftlichen Flächen. Sie bewirtschaften den Hof im Vollerwerb. Jahreszeitlich werden Spargel, Erdbeeren und Weihnachtsbäume verkauft, außerdem Fleischerzeugnisse aus eigener Herstellung, Geflügel, Wildbret, Obstsäfte und Eingemachtes.


Unsere Tour geht weiter über idyllischen Feldwegen bis zum Gut Kump, einem historischen Hotel und Restaurant. Hier geht es auf den 2015 eröffneten Alleenradweg. Von schattenspendenden Bäumen eingerahmt verläuft der 21 km lange Radweg auf der alten Eisenbahntrasse der „Westfälischen Emschertalbahn“ von Unna bis Welver.

Er wird von Spaziergängern, Wanderern, Skatern und Freizeit-Radlern genutzt. Viele Bänke und Tischgruppen laden zur Rast an der Strecke ein. 

In Allen verlassen wir den Radweg wieder und fahren auf ruhigen Wirtschaftswegen in Richtung Hamm-Rhynern. Hier machen wir am „kleinen Teich“ noch einen letzten Halt. Schon oft sind wir hier vorbei gefahren und haben den Teich gesehen oder übersehen. Er ist nicht zugängig, doch auch vom Weg eröffnen sich reizvolle Ausblicke.

 

Der kleine Teich lag schlafend vor uns, eingebettet in Sträuchern, Gräsern und den letzten Herbstblütlern.

 

Wir bleiben ein paar Minuten stehen, genießen die Ruhe und lassen die Natur auf uns wirken.

Danach treten wir für die letzten Kilometer unseres Ausflugs noch einmal in die Pedalen. Zu Hause stellen wir zu unserem Erstaunen wieder einmal fest, die Erlebnisvielfalt auf einer Fahrradtour ist ohne Zweifel beachtlich.

 

 

 

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